Das Stürmen und Drängen in rasendem Tempo und wilder Expression,
es durchzieht die gesamte Musikgeschichte -
von den rituellen Tänzen archaischer Kulturen bis zu den Exzessen der Rockmusik unserer Tage.
Nervöse Tremoli, panische Synkopen, herbe Unisoni, abrupte Wechsel zwischen Piano und Forte,
das Unberechenbare. Tempo und Leidenschaft - Sturm und Drang.
Klaus Meyer/Bayerischer Rundfunk
In der Literatur wandten sich die Stürmer und Dränger von einer allzu starren Form der Poetik ab und setzten eine individuelle, künstlerische Form dagegen. Auch in der Musik sollte der schöpferische Genius sein künstlerisches Schaffen keinen strengen Regeln unterwerfen, sondern frei mit diesem hantieren und in Instrumentation wie Dynamik extreme Gegensätze herausbilden können. Dynamik ist ein gutes Thema: In den loudness wars unserer Tage wird das Mastern einer Musikproduktion beherrscht von einer Kompression, die nur noch das Ziel hat, einen steady flow von maximalem Druck zu erzeugen, dem Gehör nicht einen Moment Ruhe lassend. Doch auch das Ohr möchte atmen, umspielt werden, der Geist möchte sich verlieren und nicht nur bedröhnt werden.
Im Sturm und Drang wurde eine neue musikalische Empfindsamkeit gesucht. Musik sollte nicht mehr nur den Menschen bewegen, der Mensch sollte sich selbst in der Musik ausdrücken, seinem Genie folgen. Der Ratio (der Aufklärung) wird die Emotion beigestellt: Sinnlichkeit, Spontaneität und Selbstverwirklichung des Individuums rücken in den Vordergrund. Melodik, die Wahl der Instrumente (Fortepiano!) und Dynamik (Crescendo!) werden als Mittel eingesetzt, um persönliche Gefühle zu verdeutlichen. Ebenso wichtig ist im Sturm und Drang die Natur: Sie wird als Inbegriff alles Lebendigen und Schöpferischen, auch im Menschen selbst, anerkannt. Und schon sind wir wieder im Heute und bei den OhOhOhs.
Florian Wäldele und Florian Dreßler haben sich beim Freeclimbing kennen gelernt. Ihre Wanderjahre verbrachten sie im Gebirge: Der Mensch alleine am Fels wird eins mit der Natur. Mit unbändigem Drang nach Freiheit spürt er eine einzigartige Lebendigkeit bei gleichzeitig hohem Risiko. Diese Ausbrüche kann sich nur leisten, wer sich mit seiner Angst auseinandersetzt, Gefahr und Risiko gut einschätzt und eine hohe Selbstkontrolle besitzt. Es ist gleichzeitig ein Ausbruch aus der Welt des Konsums, denn dieses Erlebnis ist nicht einfach zu haben, man kann es nicht kaufen. Es mag pathetisch klingen: Am Fuß eines Felsen entstand die Idee, die zur Gründung der OhOhOhs führte. Hier findet sich ein erster Hinweis auf die „Körperlichkeit“ ihrer Musik: Piano und Schlagzeug halten sich im perfekten Gleichgewicht, sich immer wieder aufbauende Crescendi verlangen Fingerspitzengefühl wie auch Muskelkraft. Ein Stürmen und Drängen auch hier.
In der Wand kennt der Kletterer nur den Weg nach oben. Es entsteht eine ungeheure Dynamik, es ist die Auflehnung gegen die Schwerkraft. Wieder eine Parallele zu ihrer Musik und zum Genie-Kult: Ein jeder ist für sich einzigartig und in der Lage, Großes zu schaffen. Diesen Ansatz sollte man nicht mit Überheblichkeit gleichsetzen, denn eine der Prämissen des Sturm und Drangs war die Kernaussage der französischen Revolution: Wir sind alle gleich! Dies als Kritik an der absolutistischen Monarchie wie auch den sich formenden Regeln des aufkommenden Bürgertums. Und heute gesellt sich bei den OhOhOhs eine Kritik am bürgerlichen Kunstbetrieb dazu: „Wir lassen uns kein E für ein U vormachen oder umgekehrt“, sagen sie. Damit fordern sie die Aufhebung der Unterteilung in E- und U-Musik und stellen die Frage: Warum gibt es überhaupt diese hierarchische Unterteilung? Warum soll europäische Musik/Harmonik/Harmonielehre mehr „wert“ sein als zentralasiatische oder indische Kunstmusik oder komplexe Rhythmen aus Afrika? The OhOhOhs wollen die Angst vor der „Heiligkeit“ klassischer Musik aufbrechen und sich gleichzeitig von den großen Meistern inspirieren lassen. Natürlich behält das „Original“ weiter seine Wertigkeit und wird nicht durch die Neuinterpretation „ersetzt“ - man MUSS beides zusammen denken, denn jeder Musik ist ein Zauber inhärent.
Wie wäre es, die „klassische“ Musik von der Emotion her zu denken? In der klassischen Musik findet sich wie sonst kaum eine immense Vielfalt an weitentwickelten musikalischen Gedanken, Konzepten und Strukturen. Hier werden Gefühle und Gedanken in all ihren menschenmöglichen Feinheiten und Nuancen zum Klingen gebracht.
Ebenso fein und hochentwickelt, als eine der Grundeigenschaften allen Lebensgeschehens, ist die Welt des Rhythmus. Hier wird die Vereinigung von Musik und Sprache möglich, hier findet sich in der populären Musik eine schier endlos verästelte Vielfalt von „Groovemusik“. Groovemusik benutzen The OhOhOhs als Chiffre für alle möglichen Musiken mit Betonung auf dem Rhythmus – von analog gespielten Live-Techno-Acts über das Erlernen von Santería-Trance-Ritualen auf Kuba bis hin zu dem Spiel mit polymetrischen Patterns – die Beatmusik spricht den Körper an und mithin archaische Instinkte.
Und es schließt sich der Kreis: In der Symbiose von Klassik und Groovemusik findet das junge Frankfurter Duo ein reiches Inspirationsfeld, die Gelegenheit, Neues zu erschaffen, dabei immer die Emotion im Fokus behaltend.
Auf der Bühne stehen sich zwei Instrumente gegenüber: der Konzertflügel und das Schlagzeug, dazu weitere Perkussionsinstrumente und Sampler. Die Ursuppe allerdings wird auf Piano und Drums gekocht. Vom Techno kommend sind die Musiker den Weg gegangen, die „wildeste“ elektronische Musik analog auf ihrem Instrumentarium zu spielen. Mit spielerischer Art beginnen sie ihre Kommunikation, die sich bald in eine Kommunion verwandelt. Kommunion untereinander wie auch mit dem Publikum, das es oft nicht auf den Sitzen hält, denn der Bauch wird ebenso angesprochen wie der Kopf: Die Musik der OhOhOhs ist ohne Kontextualisierung verständlich. Ihre Dynamik packt mit nach vorne treibenden Melodien und Rhythmen, mit Crescendi, mit Brüchen, die ein Thema im flüsternden Piano oder sogar ganz verschwinden lassen, um es im Anschluss wieder neu aufzubauen. Es ist ein Prozess des immer wieder neuen Formierens, des Auf-die-Suche-Gehens, der überraschenden Verzauberung. The OhOhOhs wagen den Versuch, den Konzertsaal zum Club und den Club zum Konzertsaal mutieren zu lassen. Bei ihnen wird Tanzmusik konzertant interpretiert und andersherum. Der schamanistische Zauber repetitiver Beats kommt ebenso zur Geltung wie das intime lyrische Spiel des Flügels. Dabei schauen die alten Meister nur über die Schulter, denn The OhOhOhs schöpfen vor allem aus ihrem eigenen Repertoire an Kompositionen.
Klassik gehört in den Konzertsaal, Clubmusik in die Discos, das eine ist Hochkultur, das andere bedient Instinkte. Mit dieser Vorstellung wollen The OhOhOhs gründlich aufräumen. Kann man Beethoven tanzen? Was löst die intensive Beschäftigung mit „Klassikern“ bei zeitgenössischen Musikern aus? Die Ästhetik elektronischer Rhythmik des Perkussionisten, Florian Dreßler, wird mit dem klassischen Klavier von Florian Wäldele kombiniert. Zwei Welten treten diskriminierungsfrei in einen Dialog, und in Zeiten der „Klassik-Krise“ soll der wunderbaren Musik der alten Meister ihr einst populärer Charakter wiedergeben werden, ohne sie dabei zu banalisieren.